Year: 2022
Author: Hillenkamp, Thomas
Zeitschrift für Lebensrecht, Vol. 31 (2022), Iss. 4 : pp. 383–398
Abstract
Ein Ehemann nimmt eine tödliche Dosis verschiedener Medikamente ein, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Seine Frau F „sichert“ den „Erfolg“ des Suizids ab, indem sie ihm auf seine Bitte noch sechs Insulinspritzen setzt, die dann aber den Tod, die Medikamente „überholend“, bewirken. Der BGH sieht darin nur eine straflose Beihilfe zum Suizid. Damit, dass F nach dem Text des § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB Täterin ist, weil sie „die Straftat (erg. nach § 216 StGB) selbst … begeht“, setzt sich der BGH nicht auseinander. In von BGHSt 55, 191 schon als methodischer Königsweg empfohlener „normativer Betrachtung“ soll unter gänzlicher Ausblendung der für die Beteiligung geltenden Normen (§§ 25 – 27 StGB) eine sich am „Gesamtplan“ ausrichtende Bewertung maßgeblich sein. Eine normengelöste normative Betrachtung ist aber im Strafrecht unerlaubt. Der erlaubte Weg zum auch hier für richtig gehaltenen Ergebnis führt stattdessen zu § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB über den Gebrauch des „Ausnahmevorbehalts“, der besagt, dass bloße Beihilfe auch trotz vollständiger Verwirklichung eines Straftatbestands möglich ist. Legitim ist dieser Gebrauch, weil er – bei der Erfüllung von sechs hier entwickelten Bedingungen – der nach BVerfGE 153, 182 verfassungsrechtlich gebotene Weg ist, einem Suizidenten zu ermöglichen, vom Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben in einer Dritte nicht in Strafbarkeit verwickelnden Weise Gebrauch machen zu können. Verfassungsrechtlich geboten ist hiernach auch, einen freiverantworteten Suizid nicht als Unglücksfall i. S. des § 323c StGB einzuodnen.
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Journal Article Details
Publisher Name: Global Science Press
Language: German
DOI: https://doi.org/10.3790/zfl.31.4.383
Zeitschrift für Lebensrecht, Vol. 31 (2022), Iss. 4 : pp. 383–398
Published online: 2022-10
AMS Subject Headings: Duncker & Humblot
Copyright: COPYRIGHT: © Global Science Press
Pages: 16
Keywords: Tötung auf Verlangen Normative Betrachtung Abgrenzung Täterschaft zu § 216 StGB/Beihilfe zum Suizid Beihilfe trotz Tatbestandserfüllung Ausnahmevorbehalt zu § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB Verfassungsrechtlich gebotene Reduktion Behandlungsveto Garantenstellung/Garantenpflicht bei Suizid Suizid als Unglücksfall
Author Details
Section Title | Page | Action | Price |
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Thomas Hillenkamp: Kann, wer die Straftat selbst begeht, nur Gehilfe sein? Anmerkungen zur „Normativität“ der Täterschaft bei einer Tötung auf Verlangen | 383 | ||
Anmerkungen zur „Normativität” der Täterschaft bei einer Tötung auf Verlangen | 383 | ||
I. Der aktuelle Anlass für die Fragestellung | 383 | ||
II. Sachverhalt und Leitsätze | 384 | ||
III. Das Verabreichen der Insulinspritzen: Täterschaft oder Beihilfe? | 385 | ||
1. Die gesetzlichen Vorgaben | 385 | ||
2. Die Nichtberücksichtigung der Vorgaben im Beschluss | 386 | ||
3. Die „normative Betrachtung” des Senats | 388 | ||
4. Die Lösung über den Ausnahmevorbehalt | 391 | ||
IV. Zur Straflosigkeit der unterlassenen Erfolgsabwendung | 395 | ||
1. Die Begründung der Erstreckung des Freispruchs auf das Unterlassen | 395 | ||
2. Verbleibender Klärungsbedarf | 396 | ||
Abstract | 397 | ||
Schlagworte | 398 |